Ballhof Hannover

Workshop für Unterzeichnende des Briefes an die Kirchenleitung zum Umgang mit der ForuM Studie

Nachricht 29. Juni 2024

Hannover. In einem gemeinsamen Brief an die Kirchenleitung kritisierten mehr als 200 evangelische Kirchenbeschäftigte den Umgang der hannoverschen Landeskirche mit Fällen sexualisierter Gewalt. Anlass des Schreibens, das an die Kirchenleitung und an alle Regionalbischöfe adressiert ist, ist die im Januar vorgestellte Forum-Studie.

Am Freitag, den 28. Juni hatte Regionalbischöfin Dr. Petra Bahr daraufhin alle Unterzeichnenden ins Foyer des Haus kirchlicher Dienste in Hannover eingeladen.

Die Veranstaltung begann mit einem persönlichen Impuls der Regionalbischöfin. Nach einer Aussprache standen drei Workshops zur Auswahl: „Sprachlosigkeit“, „Kulturwandel“ und „Macht“. Letzterer hatte sich spontan zusammengefunden. Zwei weitere Workshops mussten kurzfristig ausfallen, weil die Referierenden erkrankt waren.

Angst, den Brief zu unterschreiben

Während Unterschriften für den Brief gesammelt wurden, sei aufgefallen, dass bei manchen Pfarrpersonen eine regelrechte Angst bestanden habe, diesen zu unterschreiben. Dies betreffe vor allem die Personen, die verstärkt in beruflichen Abhängigkeiten sind. Hier sei vor allem (aber nicht nur) an Pfarrpersonen im Probedienst zu denken, weil sie noch in Bewertungszusammenhängen stehen. Andere Beispiele waren Bewerbungsphasen oder das Vikariat. Angst herrsche besonders dort, wo bereits signalisiert wurde, dass eine Eignung zum Pfarrberuf zur Diskussion stehe. Die Angst habe in der Unklarheit ihren Ursprung, wie die Vorgesetzten wohl auf eine Unterschrift unter dem Brief reagieren würden.

Es wurde auch davon berichtet, dass Pfarrpersonen erst darauf warten wollten, sich einer größeren Gruppe anzuschließen.

Diese Ängste seien verstärkt worden, weil es Berichte über Vorladungen zur Superintendentur in der Folge des Unterschreibens gab (nicht aus dem Sprengel Hannover). Besonders mit Blick darauf, dass die mittlere Ebene in Fragen der sexualisierten Gewalt als „blockierend“ wahrgenommen wurde, sei diese Kombination äußerst ungünstig gewesen.

Als ein anders gelagerter Grund, den Brief nicht zu unterschrieben, wurde das Gefühl genannt, dass die im Brief beschriebenen Forderungen gar nicht genug seien.

Öffentliches und persönliches Sprechen

In mehreren Statements wurde das persönliche Sprechen der Regionalbischöfin in „Ich-Form“ positiv hervorgehoben. Es gebe noch nicht viele Vorbilder dafür, wie man als Pastor:in der Landeskirche angemessen in der Öffentlichkeit über sexualisierte Gewalt sprechen kann, sodass Rolle und Verantwortung gewahrt bleiben. Es sei daher wichtig, gute Beispiele für reflektiere Sprachformen und -muster zu schaffen, an denen man sich orientieren kann. Die bisherige Öffentlichkeit von Kirchenleitenden sei meist „beschämend“ gewesen, weil die vermittelte Botschaft lautete: „Ich bin jedenfalls nicht verantwortlich.“

Es wurde für die Zoom-Veranstaltungen gedankt. Vor allem ist aber die einhellige Meinung, dass diese Art Workshop in der perönlichen Begegnung eine deutlich bessere Gelegenheit war, sich dem Thema anzunähern. Es wurde außerdem die unterschiedlichen Wissensstände bei Kolleg:innen angemerkt, sodass wohl eine Vielzahl von unterschiedlichen Angeboten unerlässlich ist.  

Vergebung

Es sei wichtig, eine Unterscheidung vorzunehmen: Einerseits gebe es eine Erwartung seitens „der Theologie“, zu vergeben. Andererseits könne Vergebung einer inneren Überzeugung entspringen – beispielsweise der Frage, wie ein weiteres Leben möglich ist. Die Vergebungsfrage solle die kirchliche Diskussion stärker bestimmen, sodass neue (agendarische) Formulierungen gefunden werden können.

Struktur der Landeskirche

Ein großer Unmut bestand mit Blick auf landeskirchliche Strukturen. Diese seien so kompliziert, dass sogar ein Großteil der Hauptamtlichen sowie der aktiven Pfarrpersonen nicht durchblicken, wo welche Verantwortung liegt. Wenn dieser Befund stimme, sei die Struktur schlecht und nicht der Bildungsstand in der Fläche. Mit Blick auf die Landessynode wurde daher die Hoffnung geäußert, dass auch diese die Dysfunktionalität feststelle und ändert.

Macht

Macht und Hierarchie sollen in der Landeskirche keine Tabuthemen mehr sein. Es habe lange eine Verschleierung von Macht stattgefunden – möglicherweise aufgrund des Hervorhebens von christlicher Nächstenliebe. Dies habe aber zu unklaren Zuständigkeiten geführt. Wenn unklar ist, wer Macht hat, sei auch unklar, wer zuständig ist. Es wurdegefordert, ein System zu etablieren, dass Machtmissbrauch vorbeugt, indem Macht klar benannt wird. Oft sei auch den Hauptamtlichen vor Ort nicht klar, welche Aufgabe sie selbst haben. Dieses Phänomen ziehe sich bis in die Kirchenvorstände. Es wird eine bessere Information von Ehrenamtlichen gefordert (z.B. durch das Synoden-Video von Nancy Janz).

Von Bischöf:innen bis zu allen Pastor:innen - alle haben Macht. Von einer Organisation sei zu erwarten, dass die Macht strukturiert ist. Das entscheidende Kriterium dürfe nicht „Augenhöhe“ sein. Vielmehr sei in der derzeitigen Situation „Klarheit“ entscheidend.

Für diejenigen mit Personalverantwortung gelte: Wenn Mitarbeitende nicht informieren, dann habe man schlecht geführt oder schlechte Mitarbeitende ausgesucht. Wenn beides nicht zutreffe, dann bleibe nur noch ein fehlendes Interesse beim Leitenden.

Es müsse bedacht werden, was Macht mit Vertrauen macht. Einen Vertrauensverlust werde man vor allem dann erleben, wenn die Macht „schlecht“ ausgeübt wird.

Auch die Macht der Ehrenamtlichen sei zu bedenken. Es wurde die Frage gestellt, was es für die Struktur der Landeskirche bedeute, dass sehr viel an Ehrenamtliche delegiert wurde. Auch die Implikationen für die hauptamtlich Tätigen müssten bedacht werden. Darum wurde Rollenklarheit in allen Bereichen (Pfarrberuf, Ehrenamtliche, Gremien, Diakon:innen, …) gefordert. Dies könne möglichweise dazu führen, dass Macht „besser“ ausgeübt werden kann. Macht sei nicht per se schlecht, sondern müsse verantwortungsvoll ausgeübt werden.

Kulturwandel

Bei vielen der Anwesenden wird vor Ort bereits einiges im Blick auf die Prävention sexualisierter Gewalt unternommen. Vor allem wurde von Risikoanalysen, Sensibilisierungen und Aushängen berichtet. Auch die Sprache der (Trauer-)Liturgie wird bereits vielerorts überdacht. Für die Arbeit vor Ort bestehe gerade eine große Herausforderung darin, das sehr schlechte Bild der landeskirchlichen Leitung in der Öffentlichkeit wieder einfangen zu müssen. Konkret werden benannt: Die nicht erfolgte Weitergabe aller Personalakten, Statements des Landesbischofs sowie das „Sprechverbot“ eines Betroffenen auf der Landessynode.

Als weiteres Problem wurdebenannt, dass in den Notfallplänen vorgesehen sei, über die Superintendenturen bekannte Fälle weiter „nach oben“ zu geben. Es fehle aber sowohl bei Betroffenen als auch bei Ehren- und Hauptamtlichen gegenwärtig oft das Vertrauen in diese Ansprechpartner. Es wird eine alternative „Meldekette“ gefordert, die nicht an kirchliche Strukturen gebunden ist.  

Nächste Schritte

Es wurde verabredet, dass bei einem nächsten Workshop nicht nur Personen eingeladen werden, die den Brief unterzeichnet haben. Außerdem solle ein weiterer Workshop nicht im HKD stattfinden, weil die Akustik im Foyer nicht barrierefrei ist.

Der Sprengel sei eine gute Ebene, weil dieser die Durchlässigkeit nach unten (zur mittleren Ebene und den Gemeinden) und nach oben (zur landeskirchlichen Leitung) hat. Auf Kirchenkreisebene sei man bereits im Gespräch. Vor allem der Weg zur landeskirchlichen Leitung funktioniere gegenwärtig nicht gut. Die Regionalbischöfin bringe noch einmal andere Vernetzungen in die Kirchenleitungen hinein, die genutzt werden sollen.

Es sei auch in Zukunft sehr hilfreich, gute und konkrete Praktiken von anderen kennenzulernen. Ein solcher Austausch solle nicht via Zoom, sondern vor Ort stattfinden. Insgesamt müsse man sehr viel konkreter werden – z.B. Liturgie entwickeln und die Verfassung der Kirche überarbeiten.

Gleichzeitig blieb der Wunsch nach einem geschützten Ort bestehen.  

Maximilian Baden, Theologischer Referent im Sprengel Hannover

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